CleverMatch im Gespräch mit Karin Lausch.
Frau Lausch, was ist aus Ihrer Sicht aktuell die größte HR-Herausforderung?
Karin Lausch: Die größte Herausforderung ist es aus meiner Sicht, Antworten auf die kollabierende arbeitende Bevölkerung zu finden. Trotz KI und moderner Technologien, die uns helfen sollten, produktiver und gesünder arbeiten zu können, sind mehr Menschen denn je erschöpft. Gleichzeitig werden wir nicht produktiver, geschweige denn innovativer, sondern fallen wirtschaftlich im Vergleich sogar immer weiter zurück. Das Zeitalter der Bürokratie ist eigentlich schon längst vorbei, doch wir halten daran fest, weil wir keine Idee haben, wie arbeiten sonst funktionieren kann. So ist unser Alltag voll mit Fake Work, die zwar der Systembefriedigung dient, nicht aber der Wertschöpfung. All die Präsentationen, Meetings, Protokolle, Anwesenheitsquoten und Prozesse, die es nur gibt, weil irgendwer darauf steht, haben längst ausgedient. HR hat hier eine Schlüsselrolle und muss neue, vertrauensvolle und zukunftsfähige Wege der Zusammenarbeit finden, etablieren und sicherlich auch begleiten.
Welche HR-Trends sehen Sie in der Zukunft des Personalwesens?
Kein neuer, aber ein Dauertrend ist das Thema Retention. Es fehlt in vielen Unternehmen immer noch an ernst gemeinten Maßnahmen, die dazu führen, dass Menschen aus voller Überzeugung bleiben und dabei mit ganzem Engagement arbeiten. Zusätzlich wird und muss KI die Art, wie Personalarbeit im Unternehmen gelebt wird, maßgeblich verändern. Mit den richtigen Technologien kann HR endlich der Rolle der Verwalterin und Prozesshüterin an den Nagel hängen und die wichtigen Ressourcen darin investieren, zur Wegbegleiterin und Beraterin in eine neue Arbeitswelt zu werden. Alles andere kann die KI übernehmen. Aber dafür braucht es jetzt ganz viel Offenheit und Mut, die Sache anzugehen. Der dritte ganz wichtige Trend ist die Flexibilisierung der Arbeit. Und damit meine ich nicht Office oder Homeoffice, sondern das ganzheitliche Verständnis davon, wie Menschen Ziele erreichen und einen Beitrag leisten können. Hier geht es um absolute Vereinbarkeit, die Gleichwertigkeit von Vollzeit- und Teilzeitstellen, Verantwortungsübertragung im großen Stil, die Etablierung des Quereinstiegs und Jobsharing auf allen Ebenen. All das sind wichtige Antworten auf den Fachkräftemangel.
Welche Fähigkeiten werden Ihrer Meinung nach für Führungskräfte besonders wichtig sein?
Managementaufgaben werden künftig immer mehr durch KI übernommen. Das, was Führung zukünftig ausmacht, sind echte Leadership-Qualitäten. Für Führung bedeutet das, es geht vor allem um drei Fähigkeiten:
Zum einen ist Emotionale Intelligenz entscheidend. Sie umfasst die Fähigkeit, sowohl die eigenen als auch die Emotionen anderer wahrzunehmen, zu reflektieren, zu verstehen und entsprechend förderlich zu reagieren. Hier geht es um den beziehungsfähigen Umgang mit sich selbst und anderen, denn starke Beziehungen aufzubauen und zu fördern, ist eine der größten Zukunftskompetenzen. Wenn es Menschen emotional gut geht, dann bringt das auch wirtschaftlichen Erfolg mit sich.
Eine weitere Schlüsselkompetenz ist Critical Thinking, die Fähigkeit des kritischen Denkens. Sie ist unheimlich wichtig, um als Führungskraft den Status quo zu hinterfragen, Umstände nicht als gegeben hinzunehmen und sich, das Team und die Organisation kontinuierlich weiterzuentwickeln. Denn wer heute nur macht, was man gestern schon gemacht hat, wird morgen von anderen abgelöst. Kritisches Denken hilft nachweislich, Fake Work und Bürokratie zu erkennen und abzubauen.
Nicht zuletzt ist klare Kommunikation unverzichtbar. Trotz Menschlichkeit und emotionaler Nähe Dinge beim Namen zu nennen, Orientierung zu geben und Mehrdeutigkeit zu reduzieren. Klarheit spart Zeit, Energie und Geld. Wir brauchen Sie dringend. Doch konstruktive Klarheit fällt nicht vom Himmel, sondern muss erlernt werden.
Welche Lösungen sehen Sie im Umgang mit dem Fachkräftemangel?
In vielen Bereichen ist der Fachkräftemangel hausgemacht. Denn wer seine Prozesse nicht verschlankt und nicht von Gewohnheitsrechten und Fake Work lassen kann, der wird natürlich weiterhin mehr Personal brauchen, als vorhanden ist. Wir müssen den Fachkräftemangel als Chance sehen, die eigene Arbeit neu zu erfinden und moderne Technologien zu nutzen, um die Menschen zu entlasten und die Produktivität zu steigern. Wer nicht davor scheut Prozesse zu modernisieren und die Arbeit den heutigen Gegebenheiten anzupassen, der wird auch nicht unter Fachkräftemangel leiden. Zum einen, weil es weniger Leute braucht, wenn wir die Arbeit modernisieren, zum anderen, weil sich mehr Menschen bei genau den Unternehmen bewerben werden, die modern arbeiten.
Welche sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten KPIs im HR-Umfeld?
Ich finde zukunftsgerichtete und präsente Ziele noch wichtiger als rückblickende KPIs. Wenn aber KPIs, dann sind diese drei besonders wichtig:
Erstens spielt die emotionale Bindung der Mitarbeitenden eine zentrale Rolle. Diese entscheidet maßgeblich über Produktivität und Innovation und damit über die Zukunft des Unternehmens.
Zweitens sind Kennzahlen, die Aufschluss über die Vielfalt im Unternehmen geben – insbesondere im Hinblick auf Diversity, Inclusion, Equity & Belonging (DIE&B) – von hoher Relevanz. Denn wer sich weiterentwickeln möchte, muss Perspektivenpluralität schaffen und neue bzw. unterschiedliche Sichtweisen und Fähigkeiten ins Unternehmen holen und nutzen.
Drittens sollten alle Kennzahlen, die sich auf die Umsetzung und Weiterentwicklung der Learning & Development (L&D)-Strategie beziehen, im Fokus stehen. Wir brauchen genaue Daten über die Bedürfnisse der Organisation, die Qualifikationslücken, Future Skills und Auswirkungen von konkreten Maßnahmen. Lernen und stetige Weiterentwicklung wird ein immer wichtigerer Teil der Arbeit. Dieser muss sich auch entsprechend strategisch in den KPIs wiederfinden.